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amifusions Laib und Körper als Archiv




Ein Werkstattsbericht zwischen Dekolonialität, Burnout und Emanzipation in Zeiten des pandemischen Neoliberalismus




Zombii werden
Kollaborative Versuche einer dekolonialen Narrationstechnik




amifusion ist ein Performance Kollektiv, das 2018 von der Tänzerin Sahadatou Ami Touré La Starund der Archivarin Ulrike Kiessling an einer Tanzschule im Senegal gegründet wurde. Mittels Tanz-Theater-Performances werden win-win-win Situationen entwickelt. Ursprüngliche Idee war es, für Ami La Star Gelder zu generieren und Bühnen zu erobern (erstes win), Ulrike Kiessling durch Tanz von ihrem Zombie-Dasein zu befreien (zweites win), während ein Publikum unterhalten wird (drittes win).

Die hieraus hervorgegangenen Zombie Laboratorien bestehen aus 12 performativen Versuchsanordnungen. Angedacht als Geld- und Wissensumverteilungsprojekt sind wir mittlerweile mit Gonzalo Ramos Castro, Valentina Menz Nash und Anita Maïmouna Neuhaus im Kern zum monströsen interkontinentalen Punk-Performance-Kollektiv zusammengewachsen, zwischen Musikpädagogik, Tanz, Theater, Bomberjackenbusiness @bmbr_amifusion und selbstausbeuterischer Lohnarbeit tätig, immer am Rande des Nervenzusammenbruchs.




Ausgangslage: Die 12 Zombie-Laboratorien




Die Zombie Laboratorien entstanden aus einer Begegnung. Die Tänzerin operierte an der Körperhaltung von der Archivarin, während diese an politischer Haltung und de/kolonialen Fragen forschte: Der Körper entspricht selbst einem Archiv. Monotone Arbeit, Bingewatching, Kapitalismus, Ballett, Tänze der Amazonen oder der Fischer_innen; unterschiedliche Kulturtechniken, Sensibilitäten und Wahrnehmungsästhetiken bringen unterschiedlich Körper und Haltungen zur Welt hervor.



Was bedeutet das für eine dekoloniale Praxis? Die bürokratische, kapitalistische, koloniale Maschinerie produziert Papier für das Archiv. Zugang zu Archiv und Infrastruktur ist neben demokratischer Gesetzgebung auch durch Interessen und Macht reglementiert. Aber es gibt Welten, die anders tradiert werden, als im hegemonialen Verständnis von Archiv als Ansammlung von Schrift, Text und Papier. Wie werden Geschichten auf/geschrieben, die sich jenseits einer logozentrischen Welt abspielen, für wen sind diese Vergangenheiten un/hörbar und un/sichtbar. Hat das etwas mit Widerstand zu tun?



Nachdem die Archivarin Ami La Star besuchte, fassten diese gemeinsam den Entschluss, dass Ami La Star nach Europa reisen sollte, um uns von unserem Zombie-Dasein zu befreien. Aufgrund der Hürden, die das europäische Grenzregime mit sich brachte, riefen wir die erste Performance De/ZombieFiktion ins Leben. Diese markierte das Zombiehafte an uns, das nicht lokalisierbar und dennoch internalisiert ist, das durch radikales Narrativ-shifting und durch Tanz überwunden werden möchte.



Die Zombies brachten eine tiefergehende Auseinandersetzungen mit Subjektivitäten im Kontext vom De/kolonialen mit sich. Was für kritisches Wissen vermittelt der Körper, was wird wie über unsere Bedingungen der Subjektivitäten erzählt? Welchen Möglichkeitsbedingungen liegen unserer Wahrnehmung von Körper/n zugrunde? Wie können Erfahrungen im Kontext von Körper, historischer Erinnerung, Traumata, Connectivity, Beziehungen und bezüglich interrelationalem Denken hegemoniale Wissenssysteme aushebeln? Wenn wir uns nicht mehr verstehen, weil die Sprache, der Text nicht mehr reicht, müssen wir etwas anderes in Anschlag bringen.




Zombi, Zombie, Zombii




Die Geschichten um Zombies finden nicht nur in Popkultur, Comics, Videos und Filmen statt, sondern haben eine lange Tradition in Ritualen, Mythen, Religionen. Wir gehen davon aus, dass wir uns ständig aktualisieren. Schon Marx wies darauf hin, dass „die Tradition aller toten Generationen wie ein Albtraum auf den Gehirnen der Lebenden lasten können[1]“. Ohne die Einübung neuer Erfahrungen können wir uns nicht vom althergebrachten emanzipieren.



Die Zombie-Expertinnen Sarah Juliet Lauro und Karen Embry zeichnen in ihrem «Zombie Manifest»[2] die Entwicklungsstufen vom zombi, über zombie zu zombii nach und erläutern die jeweiligen Subjektivierungsstrategien, die diese hervorbringen.



Lauro und Embry gehen vom haitianische Zombi aus, einem Körper, der von den Toten erweckt wurde. Im Kontext der haitianischen Revolution um 1791 wird dieser in Kategorien der Sklaven- und Sklavenrebellion gedacht. Und da kommt auch der Zombie des letzten Jahrhunderts her, der amerikanische Import des Hollywood Monsters, der verschiedene soziale Anliegen repräsentiert.



Der Zombie kann auch ein metaphorischer Zustand sein, und steht in seiner kulturellen Aneignung für kapitalistische und zunehmend viralgehende Kontaminationen. Diese zeitgenössischen kapitalistischen Zombies werden zumeist mit Smartphones an der Hand klebend, geduckt laufend identifiziert. Als Metapher verrät dieser Zombie viel darüber, wie wir Subjekte als lebensunwert kodieren. Kann es uns nicht eigentlich völlig egal sein, wenn jemand als Hobby geducktes laufen und sein Smartphone hat?



Der Zombie im 21. Jahrhundert hat sich verändert, er muss nun gar nicht mehr untot sein, sondern kann auch lebendig durchs Leben kommen.



Im Manifest von Lauro und Embry wird anknüpfend an den Posthumanismus letztendlich eine zukünftige Möglichkeit der Zombiis proklamiert. Sie erdenken eine Möglichkeit eines bewusstlosen Wesens, das ein Schwarmorganismus ist und das einzig vorstellbare Monster, das wirklich posthuman sein könnte. Zombii ist vielleicht das einzige Wesen, dass die Möglichkeit in sich trägt, jenseits von race, class, gender, jenseits von allen Formen der Diskriminierung und Unterdrückung etwas anderes herzustellen, etwas, das jenseits vom Duktus der Humanität, im posthumanen Sinne gedacht werden kann, um aus unserem Schlamassel der ungleichen Verteilung und Ungerechtigkeiten zu entkommen. Ein Gedankenexperiment, das die Grenzen der posthumanen Theorie aufzeigt und behauptet, dass wir erst nach dem Tod des Subjekts posthuman werden könnten.



Im Gegensatz zu Donna Haraways „Cyborg-Manifest“ gehen Lauro/Embry nicht davon aus, dass die Position des Zombies eine befreiende wäre – tatsächlich wäre der Zombie in seiner Geschichte und in seinen Metaphern meistens ein Sklave. Ihre Absicht ist es zu veranschaulichen, dass der unversöhnliche Körper des Zombies (sowohl lebend als auch tot) die Unzulänglichkeit des dialektischen Modells (Subjekt/Objekt) hervorhebt und mit seiner eigenen negativen Dialektik suggeriert, dass der einzige Weg, wirklich posthuman zu werden, darin besteht, Antisubjekt zu werden. Im Rahmen des Treibstoff Festivals 2021 in Basel erproben wir live mittels Zombiification für einen Moment zu einem Antisubjekt zu werden.




Das Antisubjekt: ein kollektives Monster




Im Laufe der Zeit vergrösserte sich also unser Kollektiv und wir begannen, zwischen Ouagadougou/Burkina Faso, Basel, Santiago de Chile, Berlin, Leipzig/Deutschland, Cotonou/Benin, Biel/Schweiz, Bamako/Mali und Yaounde/Kamerun zu arbeiten. Unsere Überforderung ist das pulsierende Herz: keine gemeinsame Sprache, kein Geld, kein gemeinsamer Ort. All diese Voraussetzungen resultieren im Chaos, Enthusiasmus, Entschlossenheit und Begeisterung für die Zusammenarbeit. Ob Pataphysikerin, Tänzerin, Comedian oder Gamedesigner_in: Gemeinsam suchen wir nach emanzipatorischen Wegen. Unsere unterschiedlichen Lebensrealitäten, Sensibilisierungen und Erfahrungen sind von Konflikten geprägt, die, mit der richtigen Methode, zu Erkenntissen werden.


Wir begreifen unsere Konflikte als das Material. Ziel der Laboratorien ist es, die Fragestellungen so zu formulieren, dass wir Erkenntnisse generieren können, die bisher hegemoniales Wissen und manifestierte Ungerechtigkeiten erschüttern könnten. Unsere Methode ist die Sichtbarmachung der Konflikte, um Narrative radikal neu zu denken.


Hörsturz, Taubheit, gebrochenes Herz, verstauchter Fuss, Herpes genitales, Depression, Eheprobleme, Typhus, Malaria, Stress, Burnout, Kapitalismus, Neokolonialismus: Anhand des Versuchs des Antisubjekts wollten wir nicht über die Heilung sprechen, sondern über die Wunden. Dank unserer zahlreichen Konflikte erreichten wir überdurchschnittlich bewusstseinserweiternde Erkenntnisse durch kollektive Körper.









[1]Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, Band 8, "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte", S. 115-123, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972

[2] Sarah Juliet Lauro; Karen Embry: A Zombie Manifesto: The Nonhuman Condition in the Era of Advanced Capitalism, boundary 2 (2008) 35 (1): 85–108.